03. Juni 2025
„Es ist wie eine große Operation“
Warum eine Obduktion für Angehörige und für Ärzte sehr wichtig sein kann.

Ja, es ist eine sehr unangenehme Situation. Für alle Beteiligten. Dessen ist sich Univ.-Prof. Dr. med. Thomas Kalinski bewusst. Und doch plädiert der Chefarzt der Pathologie am Uniklinikum dafür, dass beim Schlimmsten, was passieren kann – dem Tod eines Patienten –, die Angehörigen gefragt werden sollten, ob sie mit einer Obduktion des Verstorbenen einverstanden wären. Denn sie kann mit ihren Ergebnissen hilfreich sein – auch für die Hinterbliebenen.
„Manchmal ist es für die Angehörigen wichtig zu erfahren, woran genau ihr Familienmitglied gestorben ist. Das hilft beim Trauern“, weiß Dr. med. Marlis Günther, Leitende Oberärztin im Institut für Pathologie am Universitätsklinikum Brandenburg an der Havel. Manchmal geht es auch um Informationen, die mit Blick auf Versicherungen wichtig sind. Die Leitende Oberärztin erinnert sich noch gut daran, dass sie bei einer Obduktion eine Asbestose als Todesursache nachweisen konnte. Das ist eine Lungenerkrankung, die durch Asbeststaub hervorgerufen wird. In dem Fall war die Asbestose eine Berufskrankheit. Kann sie belegt werden, führt das möglicherweise zu Entschädigungsleistungen für die Angehörigen.
Hinterbliebene können selbst den Wunsch einer Obduktion äußern. Ihr Ansprechpartner ist dabei der zuletzt behandelnde Arzt am Uniklinikum. Bei Patienten, die in einer Klinik versterben, werden die Kosten einer eventuellen Obduktion von der Klinik übernommen. Auch dann, wenn die Hinterbliebenen diese Untersuchung ausdrücklich wünschen. Durch die Obduktion wird der Verstorbene nicht entstellt. Es werden dabei auch keine Organe oder Organteile entnommen, um sie zu verkaufen oder zu nutzen.
„Es ist wie eine große Operation in einem Operationssaal“, erklärt Dr. Marlis Günther. Bei jeder Obduktion, deren Dauer bei durchschnittlich anderthalb bis zwei Stunden liegt, sind zwei Ärzte sowie ein Assistent anwesend. Sie überprüfen alle inneren Organe sowie das Gefäßsystem. Bei Auffälligkeiten entnehmen sie Proben von den Organen für weitere histologische Untersuchungen. Das heißt, die Experten sehen sich die Gewebeproben unter dem Mikroskop an. „Das geht bis zu molekularpathologischen Untersuchungen, mit denen wir genetische Veränderungen von Gewebe entdecken“, erklärt Chefarzt Prof. Dr. Thomas Kalinski. Er weiß aus Erfahrung, dass es viele seltene Erkrankungen gibt. Dass Menschen mitunter an mehreren Krankheiten gleichzeitig leiden. Und dass die Ursachen trotz bester Bildgebung mit MRT oder CT nicht immer gefunden werden können. Eine Obduktion klärt im Nachhinein auf und kann Ärzten auch die Gewissheit geben, dass sie wirklich nicht mehr helfen konnten.
Die Leitende Oberärztin Dr. Marlis Günther berichtet von einem Patienten, der mit einer Herzschädigung ins Klinikum eingeliefert wurde. Er bekam schlecht Luft. Eine einzige Untersuchung konnte gerade noch gemacht werden – dann verstarb er ganz überraschend. Den Grund zeigte die Obduktion: Der Patient litt an einem großen, bis dahin unentdeckten Bronchialkarzinom.
Die Ergebnisse einer Obduktion präsentieren die Pathologen nicht selten in größerer Runde den Ärzten des jeweiligen Fachbereiches. Auch Studierende der Medizinischen Hochschule Brandenburg (MHB) werden zu diesen Runden eingeladen. Die hier vermittelten Erkenntnisse geben Aufschluss über den klinischen Verlauf von Erkrankungen. Sie sind extrem wichtig für die Diagnose weiterer ähnlicher Fälle. Sie sind lehrreich für Studierende, Ärzte in der Ausbildung und Fachärzte.
Dem Chefarzt der Pathologie, Prof. Dr. Thomas Kalinski, und der Leitenden Oberärztin Dr. Marlis Günther ist viel daran gelegen, über die Bedeutung und die Möglichkeiten einer Obduktion zu informieren. So schmerzhaft und emotional belastend der Tod ist – beispielsweise in der Extremsituation einer Fehlgeburt –, so hilfreich kann eine Obduktion sein. „Unsere Untersuchungsergebnisse können Verhaltenstipps für eine weitere Schwangerschaft geben“, betont Dr. Marlis Günther. Das gebe Mut und Zuversicht.
2024 wurden lediglich 2,2 Prozent der im Uniklinikum verstorbenen Patienten obduziert. Das ist wenig, wenn man bedenkt, dass die bei den Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse nicht nur den Ärzten, sondern auch den Angehörigen zur Verfügung stehen. Die Erben eines Verstorbenen haben die Möglichkeit, Einblick in die Befunde zu nehmen. Auch dann, wenn sie nicht aktiv um eine Obduktion gebeten, sondern lediglich ihr Einverständnis gegeben haben. Prof. Dr. Thomas Kalinski erinnert an den Leitspruch der Medizin:
„Mortui vivos docent“ (Die Toten lehren die Lebenden)