16. Juli 2024
„Man sieht es nicht“
Prof. Dr. med. Birgit Didczuneit-Sandhop, Chefärztin der HNO-Klinik, über die innovative Versorgung von Hautkrebspatienten.
Prof. Dr. med. Birgit Didczuneit-Sandhop, Chefärztin der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Gesichts- und Halschirurgie am Universitätsklinikum Brandenburg an der Havel berichtet davon, dass sie Patienten hat, die eigentlich schon viel früher hätten kommen müssen. Zum Beispiel Patienten mit bösartigen Tumorerkrankungen der Haut, etwa im Gesicht.
Bei Patienten, die mit dem dringenden Verdacht auf einen Hautkrebs in die Sprechstunde von Prof. Dr. Birgit Didczuneit-Sandhop kommen, wird zunächst eine Probe aus dem betroffenen Areal entnommen und in die Pathologie geschickt. „Mit großer Dringlichkeit“, wie die Chefärztin betont. Das bedeutet, dass nach ein, zwei Tagen der Befund da ist. Bestätigt sich der schlimme Verdacht, wird der komplette Körper des Patienten auf Streuung durch Metastasen untersucht. Die Lymphknoten werden gecheckt und in einem CT überprüfen die Experten, ob Lunge und Bauchraum frei von Tumorzellen sind.
Mit all diesen Befunden geht es in die Tumorkonferenz, in der Spezialisten mehrerer Fachbereiche des Universitätsklinikums beraten, wie die optimale Therapie aussieht. Bestrahlung, Chemotherapie, Entfernung von Lymphknoten, Operation des bösartigen Hautkrebses? „Ich konfrontiere den Patienten erst dann mit einer schlimmen Diagnose, wenn das Ergebnis da ist und wenn ich weiß, wie ich ihn behandeln, wie ich ihm helfen kann“, sagt die HNO-Chefärztin. Bei der Entfernung von Hautkrebs müsse ein „Sicherheitsabstand“ eingehalten werden. Das heißt, dass etwa ein Zentimeter um die Tumorzellen herum weiteres Gewebe entfernt wird.
Ist das OP-Feld im Bereich der Wangen oder vielleicht auch der Unterlippe, haben Experten wie Prof. Dr. Birgit Didczuneit-Sandhop – sie ist Fachärztin für HNO-Heilkunde, Plastische Operationen, Spezielle HNO-Chirurgie – verschiedene Möglichkeiten, um die Wunden wieder zu verschließen. Die Chirurgen sprechen dabei von Lappenplastiken, die im Uniklinikum Brandenburg an der Havel nahezu wöchentlich auf dem Plan stehen. Unterlippen können sogar aus körpereigenem Gewebe, wie zum Beispiel der Wange, nachgebildet werden. Befindet sich der Hautkrebs allerdings an solch sensiblen Stellen wie dem Ohr oder der Nase, ist mitunter eine sehr weitreichende Operation nötig. Sie kann bis zum Verlust eines Körperteils führen. Bei einem Tumor an der Nase ist eine Bestrahlung oft nicht möglich, wie die Chefärztin erklärt. Das Gewebe vernarbt dabei. Die Nase würde entstellt. „Dann ist es besser, das Organ zu entfernen“, so Prof. Dr. Birgit Didczuneit-Sandhop.
Das ist ein radikaler Eingriff. Und was kommt dann? Die Antwort lautet: eine Epithese. Das ist die Nachbildung von Körperteilen beziehungsweise anatomischen Strukturen unter ästhetischem Gesichtspunkt. Durch die Nutzung moderner Materialien und Herstellungsverfahren sind diese Nachbildungen perfekt auf das Hautkolorit des Patienten abgestimmt. „Plastisch geschaffene Nasen haben ein sehr feines Relief und eine zart und hautähnlich erscheinende Oberfläche“, erläutert die Chefärztin. Das Uniklinikum Brandenburg an der Havel arbeitet in diesem Bereich bereits seit mehreren Jahren mit dem Institut für Anaplastologie Velten & Hering OHG zusammen. Das zertifizierte Unternehmen mit Sitz in Genthin (Sachsen-Anhalt) hat auch einen Standort in Potsdam.
Für die Nachbildung eines Ohres oder einer Nase „nutzen wir medizinisches Silikon“, erklärt der Geschäftsführer Benjamin Velten. Damit alles perfekt passt, wird zunächst ein Abdruck der betroffenen Körperregion genommen und eine erste Epithese aus Wachs modelliert. Sie dient der Probeanpassung. Ist alles okay, wird die Epithese aus medizinischem Silikon hergestellt.
Das endgültige Anpassen muss im Klinikum erfolgen. Denn für einen sicheren Halt brauchen die Epithesen kleine Anker, die in knöcherne Strukturen implantiert werden. „Die Patienten kommen später in meine Sprechstunde – und man sieht es nicht“, beteuert Prof. Dr. Birgit Didczuneit-Sandhop. So lebensecht wirken die Nachbildungen von Nase oder Ohr. Sie haben übrigens keine negativen Auswirkungen auf den Geruchssinn oder das Hörvermögen eines Patienten. Die Patienten kommen nach der Therapie noch sieben Jahre lang zum regelmäßigen Check in die Tumorsprechstunde der HNO-Chefärztin. In den ersten beiden Jahren stellen sie sich alle drei Monate vor.
Die Epithese muss nach etwa anderthalb bis zwei Jahren ersetzt werden, wie Benjamin Velten erklärt. Dann lasse das Material nach und mitunter sind auch anatomische Anpassungen nötig.