14. Oktober 2020
Warnstreik am Universitätsklinikum Brandenburg an der Havel
Warnstreik am Universitätsklinikum Brandenburg an der Havel
• ver.di schießt in Brandenburg an der Havel weit über das Ziel hinaus
• Gesprächsangebote wurden nicht wahrgenommen
• Notfallversorgung ist sichergestellt
Am 22.10.2020 und 23.10.2020 wird auf Bundesebene zum Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes weiter verhandelt. Nach Presseverlautbarungen will die Arbeitgeberseite schon am Freitag dieser Woche ein Angebot an die Gewerkschaften veröffentlichen. Vertreter unseres Krankenhauses sitzen nicht mit am Verhandlungstisch. Trotzdem ruft Ver.di alle Beschäftigten des Städtischen Klinikums für Freitag, 16.10.2020, ganztägig zum Warnstreik auf. Wir werden stellvertretend für die bundesweit tarifgebundenen Krankenhäuser bestreikt. Unser Krankenhaus wird für Ver.di zum Spielball überregionaler Tariftaktik.
Ist das die Wertschätzung für den Wiedereintritt des Universitätsklinikums Brandenburg an der Havel in den TVÖD?
Mit völligem Unverständnis hat die Betriebsleitung des Universitätsklinikums Brandenburg an der Havel den Aufruf von der Gewerkschaft Ver.di zum Warnstreik am 16.10.2020 aufgenommen. Im Rahmen der Tarif-verhandlungen für Beschäftigte von Bund und Kommunen kommt es somit am Freitag auch zu Streiks am Universitätsklinikum Brandenburg an der Havel.
Das Universitätsklinikum Brandenburg an der Havel ist nach über 14 Jahren am 01.01.2020 als erstes Krankenhaus im Land Brandenburg, trotz einer finanziell sehr angespannten Lage, wieder in die unmittelbare Tarifbindung des bundeseinheitlichen Flächentarifvertrages TVöD zurückgekehrt. Damit nicht genug. Unser Krankenhaus ist auch bundesweit ein Leuchtturm bei der schichtkonkreten Personalbemessung im Pflege- und Funktionsdienst. Am 18.12.2019 haben wir direkt mit Verdi einen „Entlastungstarifvertrag“ für unser Krankenhaus abgeschlossen. Nach einer Übergangszeit werden ab 01.01.2021 landesweit nur hier am Universitätsklinikum Brandenburg an der Havel, weit über die gesetzlichen Anforderungen der „Verordnung zur Festlegung von Pflegepersonaluntergrenzen in pflegesensitiven Bereichen“ hinaus, für alle bettenführenden Bereiche durch Tarifvertrag geregelte schichtkonkrete Personaluntergrenzen für die Personalmindestbesetzung auf jeder Station und in jeder Schicht für jeden Tag der Woche gelten. Im Vergleich zu anderen Krankenhäusern sind hier deutlich mehr Pflegekräfte pro Patient im Einsatz, wovon nicht nur unsere Patienten, sondern nachhaltig auch unsere Mitarbeiter profitieren. Und das bereits während der Übergangszeit seit dem Jahre 2019.
Für die Mindestbesetzung haben wir noch offene Stellen. Ver.di hatte uns Unterstützung bei der Personalgewinnung zugesagt. Ver.di wollte unsere Vorreiterrolle für Mindestbesetzungen deutschlandweit hervorheben. Alles nur Versprechungen. Nichts davon eingelöst. Aber jetzt der Warnstreik.
Unser Krankenhaus bietet den Beschäftigten schon heute hervorragende Arbeitsbedingungen.
Gerade ausgelernte Krankenpfleger auf der Normalstation haben bei Vollzeit ein Gehalt 2.830,56 € brutto, auf besonderen Pflegestationen (Intensivpflege, Anästhesiepflege, OP-Pflege, Rettungsstelle, Nephrologie, onkologische Pflege) von 3.003,48 €. Vor 10 Jahren waren es noch 1.982,30 € bzw. 2.143,02 €. Nur im Grundgehalt. Das Einstiegsgehalt der Krankenschwester ist somit in der Grundvergütung in den letzten 10 Jahren um 38,6 % gestiegen. Allein durch den Wechsel vom Haustarifvertrag zum TVöD per 01.01.2020 um durchschnittlich 7,5 %.
Inklusive Zulagen und Zuschläge kommt in der Normalpflege eine Berufsanfängerin immerhin schon auf knapp 3.200,00 € brutto, in der besonderen Pflege sogar auf ca. 3.500,00 € brutto. Vergleichbare Einkommen für Berufseinsteiger mit Anfang 20 werden anderweitig kaum zu finden sein.
Eine Pflegekraft in der Stufe 5, also nach 10 Jahren beruflicher Tätigkeit, kommt in der besonderen Pflege auf 4.000,00 € brutto. Hinzu kommt Weihnachtsgeld aktuell 70 % der festen Entgeltbestandteile, Berufsanfänger ca. 2.100,00 € brutto, für die erfahrene Pflegekraft ca. 2.550,00 € brutto. Weitere ca. 300,00 € brutto kommen noch für das Leistungsentgelt voraussichtlichen hinzu. Die berufserfahrene Pflegekraft wird daher inklusive Jahreszahlungen aktuell auf monatlich durchschnittlich knapp 4.300,00 € kommen.
Bei Wechselschichtarbeit und Nachtarbeit sind bis zu 40 Tage Urlaub drin, im Schnitt aktuell 35 Tage Urlaub im Pflegedienst SKB.
Zusätzlich zu den tarifvertraglichen Leistungen gibt es für jedes Holen aus dem Frei, mithin für jede Schicht, die auf Anfrage der Arbeitgeberin in Abweichung der ca. 6 Wochen vorher erfolgten Dienstplanung geleistet wird, eine zusätzliche Stunde Arbeitszeitgutschrift; die komplette Schicht wird mit Mehrarbeitszuschlag 30 % versehen. Beschäftigte ab Vollendung des 58. Lebensjahres sind auf Antrag von der Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaftsdienst befreit.
Wir bieten jährlich diverse Fortbildungen für Fachpflegekräfte verschiedenster Fachrichtungen (Anästhesie und Intensivmedizin, Onkologie, Notfallmedizin, Operationspflege).
Betriebszugehörigkeitszeit ab 10 Jahre wird alle 5 Jahre mit stufenweise gestaffelten Zusatzzahlungen und Präsenten (iPad/Präsentkorb) gewürdigt; Aufwand in 2018 von 50.000,00 €.
Streik als Anerkennung vorbildlicher und beispielgebender Arbeitsbedingungen?
WIR sind der Leuchtturm im Land Brandenburg, und auch darüber hinaus, was Tarifverträge für schichtkonkrete Personalbemessung und auch die Rückkehr zur Tarifbindung an die Flächentarifverträge betrifft. Krankenhäuser, die vor vergleichbaren Überlegungen stehen, werden genau beobachten, inwieweit das Städtische Universitätsklinikum Brandenburg an der Havel dennoch - und vor allen Dingen auch schon nach so kurzer Zeit – erneut und weiterhin mit entsprechenden Arbeitskampfmaßnahmen überzogen wird. WIR sind überzeugt, solche Negativbeispiele werden diejenigen Krankenhausträger, insbesondere in kommunaler Trägerschaft, gern in die Diskussionen mit den Parlamenten der Gemeinden und Landkreise als Gesellschaftervertreter einbringen, wenn es auch dort darum geht, ebenfalls Tarifbindung an Flächentarifverträge wieder herzustellen.
Wie töricht ist das denn? So wird es kein weiteres Brandenburger Krankenhaus mehr geben, das in die tarifgebundene Mitgliedschaft des Kommunalen Arbeitgeberverbandes (KAV) zurückkehrt.
Gabriele Wolter, Geschäftsführerin der Städtischen Universitätsklinikum Brandenburg an der Havel GmbH:
Wir haben uns in der Vergangenheit immer für bessere Arbeitsbedingungen und eine tarifliche Entlohnung eingesetzt, über Jahre durch entsprechende Haustarifverträge und nun auch nach dem TVöD. Zum Dank wird das Haus von ver.di bestreikt. Dafür habe ich keinerlei Verständnis.
Natürlich werden wir in unserem Klinikum die auf Bundesebene gefundenen Verhandlungsergebnisse umsetzen, auch wenn wir nicht erkennen können, wie uns das betriebswirtschaftlich gelingen soll. Aber der Aufruf zum Warnstreik gegen unser Krankenhaus, das sind ein klarer Affront und ein harter Vertrauensbruch der Gewerkschaft. Bittere Enttäuschung und Kopfschütteln ergreifen mich.
Die größte Sorge gilt unseren Patientinnen und Patienten, die durch Streikmaßnahmen nicht planmäßig behandelt werden können. Die Corona-bedingten Einschränkungen treffen uns als Klinikum bereits ohne einen Streik sehr hart. Die pandemiebedingten Organisationsmaßnahmen beeinträchtigen ohnehin schon die regelmäßige Patientenversorgung. Ein Streik gefährdet das regionale Versorgungsangebot noch zusätzlich. Verdi nimmt das ganz bewusst und billigend in Kauf. Und der finanzielle Schaden eines Streiktages in Höhe von ca. 250.000 € trifft uns, in der durch die Pandemie zusätzlich finanziell angespannten Lage, auch noch in ganz besonderer Weise.
Die Betriebsleitung des Städtischen Klinikums hat sich bereits vergangene Woche an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewandt und über einen möglichen Warnstreik informiert. Ein Gesprächsangebot wurde durch die gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leider nicht wahrgenommen.
Die Notfallversorgung unserer Patienten wird auch während der Streikmaßnahmen sichergestellt.