19. März 2024
Auch eine Krankheit der Jüngsten
Bei Rheuma denken viele an eine Erkrankung, die ältere Menschen betrifft. Doch auch Kinder können erkranken. Ihre Behandlung hat sich zu einem Schwerpunkt der Kinderklinik entwickelt.
Oft beginnt alles mit einem geschwollenen, schmerzhaften, bewegungseingeschränkten Gelenk. Sehr oft ist es das Knie. Grundsätzlich kann jedes Gelenk betroffen sein. Kleine Kinder, die eigentlich schon laufen können, wollen plötzlich wieder getragen werden. Hinken oder Laufverweigerung des Kindes sind Warnsignale, oder eine Versteifung der Gelenke am Morgen. Schmerzen beim Kauen und beim Öffnen des Mundes, unklare, länger andauernde Hautausschläge mit oder ohne Fieber und nicht juckende Augenentzündungen können auftreten. All das können Anzeichen eines kindlichen Rheumas sein. Es gibt – wie beim Erwachsenen-Rheuma – diverse Formen der Erkrankung. Es ist eine chronische Autoimmunerkrankung des Körpers: An einem bestimmten Punkt beginnt das Immunsystem, sich gegen sich selbst zu richten. Warum das passiert, ist noch nicht gänzlich erforscht. Es gibt genetische Faktoren.
Die Krankheit äußert sich am häufigsten durch eine chronische Entzündung von Gelenken beziehungsweise der Gelenkinnenhaut – auch juvenile idiopathische Arthritis (JIA) genannt. Arthritis steht für Gelenkentzündungen, juvenil bedeutet, dass die Erkrankung vor dem vollendeten 16. Lebensjahr beginnt. Idiopathisch heißt, dass die Ursache nicht bekannt ist. Die Erkrankung gehört zum sogenannten rheumatischen Formenkreis. Dieser ist groß: Er beinhaltet zum Beispiel auch Entzündungen des Bindegewebes oder der Blutgefäße.
Die Erkrankung betrifft meist Kinder ab einem Alter von zwei Jahren, zwei Drittel davon sind Mädchen. Sie ist grundsätzlich selten: Fünf Neuerkrankungen pro Jahr gibt es in der Stadt Brandenburg. Aber: „Es ist eine Erkrankung, die eine Langzeitbetreuung der Patienten erfordert“, sagt Dr. med. Hans Kössel, Chefarzt der Kinderklinik des Uniklinikums und Rheumatologe. Viele Patienten werden in der Klinik über fünfzehn Jahre und länger ambulant und – sollten invasive Eingriffe nötig sein – auch stationär betreut. Dr. Hans Kössel bietet zwei Spezialsprechstunden zum kindlichen Rheuma (wöchentlich dienstags von 14 bis 17 Uhr sowie nach aktuellem Bedarf) in der Kinderklinik an. Hinzu kommt eine Zweitsprechstunde alle zwei bis drei Wochen im Uniklinikum in Neuruppin. Insgesamt gibt es nur sehr wenige Kinder-Rheumatologen im Land Brandenburg.
Die Behandlung von kindlichem Rheuma hat sich in den letzten Jahren zu einem Schwerpunkt des Uniklinikums entwickelt. Die jungen Patienten und ihre Familien kommen aus dem gesamten Bundesland, zudem aus den anliegenden, wie zum Beispiel Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Entzündlich-rheumatische Erkrankungen bei Kindern unterscheiden sich deutlich von denen im Erwachsenenalter; das betrifft Diagnostik, Therapie und Verläufe. „Beim kindlichen Rheuma ist eine weitere Besonderheit, dass immer ein wachsendes Skelett betroffen ist“, sagt Dr. Hans Kössel. Daher ist ein zentrales Ziel der Behandlung, dass Fehlhaltungen und Fehlstellungen vermieden werden und sich ein gesundes Skelettsystem entwickelt. Denn jede Fehlstellung kann zur späteren Arthrose – der Zerstörung des Gelenks – führen.
Jede Rheumaform braucht einen anderen Therapieansatz. In der Kinderklinik wird den Patienten mit allen verfügbaren, antientzündlichen, medikamentösen Therapien geholfen. Oft geschieht das mittels Punktionen, bei denen der Wirkstoff direkt ins Gelenk gespritzt wird. Die Palette der Medikamente reicht von einfachen entzündungshemmenden Medikamenten bis hin zu Chemotherapeutika und Biologika – das sind biotechnologisch hergestellte Eiweißsubstanzen, die sich gegen bestimmte entzündungsfördernde Botenstoffe des Körpers richten.
Die Therapie soll den jungen Patienten einen möglichst normalen Alltag und eine kindgerechte Entwicklung ermöglichen. Dazu gehört, die Symptome in den Griff zu bekommen und Folgeschäden sowie Begleiterkrankungen zu verhindern. „Ziel der Behandlung ist die Remission oder nur noch minimale Krankheitsaktivität“, so Dr. Hans Kössel. Remission bedeutet das vorübergehende oder dauerhafte Zurückgehen von Krankheitserscheinungen – beziehungsweise ihr Verschwinden. Das kindliche Rheuma gilt, wie das Erwachsenenrheuma, derzeit als nicht heilbar. Die gute Nachricht: Es besteht die Chance, dass die Krankheit innerhalb der ersten Therapiejahre einen Stillstand erreicht – und auch, dass sie insbesondere nach der Pubertät in Langzeitremission kommt und möglicherweise im Erwachsenenalter nicht zurückkehrt. Trotzdem ist in einigen Fällen eine Behandlung über das Jugendalter hinaus notwendig. Ein koordinierter Übergang zur Erwachsenen-Rheumatologie ist dann besonders wichtig.
In der Brandenburger Kinderklinik bestehen enge Kooperationen mit der Radiologie, der Augenklinik (Rheuma kann auch chronische Augenentzündungen verursachen), der Orthopädie und dem Labor im Hause. Auch die Physiotherapie ist im Uniklinikum ansässig und für die Betroffenen essenziell. Zudem gibt es eine Kooperation mit einer niedergelassenen Rheumatologin, um die Versorgung der Patienten auch nach ihrem 18. Geburtstag zu gewährleisten.
„Vor dreißig Jahren waren viele Patienten ab einem bestimmten Punkt auf den Rollstuhl angewiesen oder wurden Frührentner. Heute gehen fast alle ins Berufsleben. Es ist eine Erkrankung, bei der man als Mediziner heute sehr gut helfen kann“, sagt Dr. Hans Kössel.
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Chefarzt: Dr. med. Hans Kössel
Sekretariat: (03381) 411800
kinderklinik@uk-brandenburg.de