21. August 2024

Auf Leben und Tod in der Rettungsstelle

Das Team der Notaufnahme im Uniklinikum versorgt tagtäglich 100 bis 120 Patienten

Leer ist es im Wartebereich der Notaufnahme nie. Sieben Patienten mit großen und kleinen Verletzungen oder unklaren Symptomen sitzen dort mit gequältem Gesichtsausdruck und hoffen, aufgerufen zu werden. Ein Mann im Blaumann hält einen humpelnden Kollegen am Arm. Eine Mutter tröstet einen blutenden 14-Jährigen und eine alte Frau, die etwas wirr redet, wird von ihrer Tochter beruhigt. Am Himmel dröhnt Christoph 35. Draußen rollt soeben ein Rettungswagen vor. „Wir haben einen neurologischen Patienten“, hört man jemanden rufen. Hinter sich zieht der, flankiert vom Rettungsassistenten, eine Liege. Der ältere Patient ist bei Bewusstsein, aber scheint verwirrt. Der Mediziner ergänzt: „Verdacht auf Apoplex“ - Schlaganfall.

Nur ein Beispiel für eine halbe Stunde am Morgen an einem ganz normalen Wochentag. Klar ist, dass die große Herausforderung jeder Notfallambulanz darin besteht, herauszufinden, wer sofort behandelt werden muss, und wer noch warten kann (muss). Akute Notfälle selektieren und damit Leben retten, die Kranken sichten und Schmerzen lindern – das sind die Aufgaben der Rettungsstelle. Das Verfahren dazu nennt sich Triagieren, was eigentlich ein Begriff aus der Militärmedizin ist, der auf Schlachtfeldern seinen Ursprung hat. In Großbritannien wurde das Manchester-Triage-System (MTS) entwickelt, das ein standardisiertes Verfahren zur systematischen Ersteinschätzung der Behandlungsdringlichkeit von Patienten in Notaufnahmen bot. Triage bezeichnet dabei die Methodik

• die Schwere der Erkrankung beziehungsweise der Verletzung schnellstmöglich zu erkennen und
• mittels Kategorisierung eine Einstufung der Behandlungsdringlichkeit vorzunehmen.

Diese schnelle und sichere Festlegung der Behandlungspriorität ist Grundvoraussetzung in der Notfallversorgung, um bei nur begrenzt verfügbarem Personal, Räumlichkeiten und technisch-apparativer Ausstattung dringendste medizinische Behandlungen gegebenenfalls sofort einleiten zu können. Die Reihenfolge der Behandlung in der Notaufnahme richtet sich dementsprechend nach der gesundheitlichen Gefährdung des Patienten. Die Reihenfolge des Eintreffens der Patienten in der Notaufnahme ist zweitrangig.

Am Tresen erklärt gerade eine Mittfünfzigerin, dass ihre Hausärztin im Urlaub ist, ihr ständig schwindelig sei und sie starke Krämpfe im rechten Bein hätte. Sie wird ins Wartezimmer geschickt. Nicht wenige Patienten kommen mit „Bagatelltraumata“, zum Beispiel verletzte Radfahrer oder das Kind, das sich, wie auch immer, den Angelhaken in die Fingerkuppe gerammt hat.

Hinter harmlosen Schwindelgefühlen könnte aber auch eine Hirnblutung stecken. „Eben deswegen müssen wir IMMER wachsam sein“, sagt Dr. med. Wiebke Weiland, die am 1. Mai 2019 Chefärztin der Notaufnahme wurde, aber schon seit 1991 aktive Notfallmedizinerin ist. In Brandenburg war sie von 2010 bis 2019 Leitende Oberärztin der Notaufnahme. Aktuell betreut sie mit einem 45-köpfigen Team jährlich zwischen 37.000 und 38.000 Patienten. „Wir haben das Ziel, innerhalb der ersten zehn Minuten zu triagieren. Entsprechend dieser Ersteinschätzung erfolgt nach Schweregrad die notwendige Diagnostik und Einleitung einer Initialtherapie“, so Dr. Wiebke Weiland.


Dr. med. Jana Hein und Maren Kronberg

„Wir haben hier zwei Bereiche. Einen für die Notfallversorgung und einen für die Beobachtung der Patienten. Die ordnen wir fünf Schweregraden zu“
, erklärt Oberärztin Dr. med. Jana Hein, „zu Rot, Orange, Gelb, Grün oder Blau“. Die „Roten“ seien die, die zumeist sofort in den Schockraum gebracht und versorgt werden, die „Blauen“ eher Fälle für den Hausarzt. Alles andere liegt dazwischen. „Aber wir schicken auch niemanden weg, der Hilfe braucht“, ergänzt Maren Kronberg, Leiterin der Rettungsstelle. Die Gesundheitskarte dabei zu haben, ist wünschenswert. Ist sie das nicht, sollte sie unbedingt nachgereicht werden. „Sonst kommt später die Rechnung nach Hause.“

Was denn mit ihren Sachen passiere, fragen Patienten oft. „Die bleiben beim Patienten und kommen in eine Patiententüte, die mit Namen und Adresse versehen auf der Transportliege mitfährt“, stellt Dr. Jana Hein klar und auch, dass Wertsachen trotzdem zu Hause am besten aufgehoben seien. „Die Kleidung kommt dazu.“ Ob sie denn wirklich auch zerschnitten wird? „Unterschiedlich“, so Dr. Jana Hein, „bei jedem, der sich allein ausziehen kann, nicht. Nur in schweren Fällen, wenn man den Patienten nicht mehr entkleiden kann, wird sie auch mal zerschnitten“, und ergänzt, dass, „wenn möglich, immer vorher gefragt wird“.

Die Patienten verbringen zwischen zwei und an stressigen Tagen mitunter bis zu 20 Stunden in der Notaufnahme. „So unangenehm es ist, das muss klar gesagt werden“, sagt Maren Kronberg, „unser großes Problem sind Betten. Wir haben nicht immer genug zur Verfügung“. Im Empfangsbereich der Notaufnahme bestätigt sich das direkt. Zu der einen, bereits vor einer Stunde belegten Transportliege haben sich fünf weitere gesellt. Außerdem zwei besetzte Rollstühle und ein gutes Dutzend Patienten im Wartebereich. Es ist 10 Uhr. Jetzt geht es richtig los.

Zurück