07. Juni 2024
Eine Schulter zum Anlehnen
Felicitas Haupt führt Seelsorgearbeit im Ruhestand als Ehrenamt fort
Es gibt Situationen im Leben, die sind so überwältigend, dass sie den Betroffenen schier das Herz zerreißen: Wenn ein geliebter Mensch durch einen Unfall verstirbt oder bei dem Verlust des eigenen Kindes durch eine Totgeburt. Bei einem solch schweren Ereignis, das den Hinterbliebenen den Boden unter den Füßen wegzieht, braucht die Seele Trost und Halt. Hier kommt Felicitas Haupt ins Spiel, Seelsorgerin am Universitätsklinikum Brandenburg an der Havel.
Die ausgebildete Theologin war 25 Jahre lang in der Magdeburger Börde als evangelische Pfarrerin tätig und absolvierte in den 90er Jahren eine Spezialisierung zur Seelsorgerin. 2013 suchte sie sich eine neue Herausforderung und trat ihre Stelle als Seelsorgerin am heutigen Uniklinikum an. Nun, nach elf Jahren Arbeit am Klinikum, geht Felicitas Haupt am 1. Juni in den Ruhestand. Keine leichte Entscheidung für sie: „Ich habe meinen Ruhestand um zwei Jahre nach hinten verschoben, da es während meiner Zeit hier so viele Ideen gab, die ich für das Klinikum umsetzen wollte. Mir war es immer wichtig, im Gesamtkontext des Klinikums etwas für Patienten, Angehörige und Mitarbeiter einzubringen und weiterzugeben. So konnte ich meine Arbeit nicht einfach von einem Tag auf den anderen ablegen“, erzählt sie.
Wer Menschen in derart schweren Situationen freiwillig begleitet, benötigt eine Leidenschaft dafür. Die wird bei Felicitas Haupt sofort spürbar, wenn sie von ihrer Tätigkeit spricht: „Es ist mir ein Anliegen, dass Menschen in lebensverändernden, manchmal traumatischen Erlebnissen in der Klinik spüren, dass sie auch seelische Unterstützung bekommen“, erzählt sie. Um für Patienten und Mitarbeiter bestmögliche Unterstützung zu sein, hat sie eine Ausbildung zur Psychoonkologin und zur Ethikberaterin abgeschlossen. Auch hat sie eng vernetzt mit Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen zusammengearbeitet, deren Team in den vergangenen Jahren durch einen höheren Bedarf immer größer wurde. Deshalb wird sie sich mit ihrem Eintritt in den Ruhestand für ein paar Monate weiterhin ehrenamtlich als Seelsorgerin engagieren, bis ein Nachfolger für sie gefunden ist.
Wie erfüllend der Seelsorgeberuf sein kann, macht eine Erinnerung ihrerseits deutlich. Im Rahmen ihrer Trauerbegleitung fanden durch Zufall drei Menschen zueinander: Ein Mann hatte seine Frau verloren, eine Frau musste den Tod ihres Mannes verarbeiten. Während ihrer Zeit im Trauerkreis wurden beide ein Paar. Sie hatten im Vorfeld über lange Zeit ihre Angehörigen gepflegt. Eine dritte Frau hatte ihre Schwiegertochter verloren und machte durch den Trauerkreis Bekanntschaft mit dem verwitweten Mann. Dieser wurde für sie wie ein Vater, den sie nie hatte. Bis heute sind die drei eng verbunden. Genau diese zwischenmenschlichen Begegnungen machen für Felicitas Haupt den Kern der Seelsorge aus: „Durch meine Arbeit entsteht ein Raum, in dem auch so etwas möglich ist“, erzählt sie. Inneres Engagement und Berufung entsteht oft durch persönliches Erleben. Auch der Seelsorgerin blieben Schicksalsschläge nicht erspart. Ihre erste Tochter hatte mit 2 Jahren einen schlimmen Unfall. Ein Vierteljahr lang bangten die Eltern täglich auf der Kinderintensivstation um ihr Leben. Die zweite Tochter verstarb mit 14 bei einem Verkehrsunfall.
Zu den Aufgaben der Seelsorgerin gehört es auch, den Angehörigen beim Abschied eines verstorbenen Kindes beizustehen. Neben der geistlichen Unterstützung sorgt sie dafür, dass die Eltern gut Abschied nehmen können. Dafür werden die Sternenkinder – das sind Kinder, die vor, während oder nach der Geburt gestorben sind – in liebevoll genähte Stecktücher gebettet und in ein Mosekörbchen gelegt. „Wir ermuntern die Eltern, sich ihr Kind anzusehen und bewusst Abschied zu nehmen“, sagt Felicitas Haupt. „Wir respektieren aber auch den Willen der verwaisten Eltern und laden niemanden zur Beisetzung ein, der nicht kommen möchte.“ Betroffene müssen ihren eigenen Weg der Trauerbewältigung finden. Für die, denen ein Austausch mit anderen Sternenkindereltern hilft, bietet die Seelsorgerin eine Gruppe an.
Wie sehr Seelsorge das Leben der Pfarrerin bestimmt, zeigt auch, dass sie über das Klinikum hinaus immer einige Menschen in seelischen Notlagen berät und begleitet, manchmal über lange Zeiträume. Oft sind es Trauerbegleitungen. So leitet sie eine „Trauerwerkstatt“. Ein Kreis, der sich monatlich trifft, nicht nur über die Trauer spricht, sondern gern Zeit miteinander verbringt. Die Beteiligten suchen sich ein schönes Ziel und gehen dann am Abend gemeinsam essen. Auf diese Weise kann sie auch in ihrem Ruhestand ihr seelsorgerisches Wirken fortführen – es ist also keinesfalls ein Abschied für immer.