11. Juni 2024

Volksleiden Bandscheibe

Prof. Dr. med. Christian Ewald erläutert die Diagnostik und Therapieansätze

Rund 1000 Patienten. So viele kommen pro Jahr über die Rettungsstelle des Universitätsklinikums Brandenburg an der Havel, die Hochschulambulanz oder über die Chefarztsprechstunde der Neurochirurgie wegen eines ganz bestimmten Leidens: starke Rückenprobleme. Als Auslöser des Leidens stehen bei ihnen die Bandscheiben in Verdacht. 23 Bandscheiben hat der Mensch. Von der Halswirbelsäule bis hinunter zum Steißbein sorgen die elastischen Puffer für die Beweglichkeit der Wirbelsäule. Zwischen den einzelnen Wirbelkörpern sind sie so etwas wie ein Stoßdämpfer, der bei Belastungen der Wirbelsäule zur Hochform aufläuft.

„Allerdings verschleißen die Bandscheiben eines Menschen mit fortschreitendem Alter“, sagt Prof. Dr. med. Christian Ewald, Direktor der Klinik für Neurochirurgie. Sie verlieren an Elastizität. Werden spröde. Im schlimmsten Fall können sie dem täglichen Druck nicht mehr standhalten. Wenn der gallertartige Kern einer Bandscheibe aus seiner Hülle heraustritt und „über die Wirbelkörperkante vorgedrückt wird“, sprechen Experten wie Prof. Dr. Christian Ewald von einem Bandscheibenvorfall. Drückt das herausgetretene Bandscheiben-Gewebe auf den Spinalnerv – genauer gesagt die sogenannte Nervenwurzel – in oder an der Wirbelsäule, kann es starke Schmerzen und sogar Empfindungsstörungen, ein Kribbeln in den Extremitäten oder auch Lähmungserscheinungen auslösen – je nachdem, welcher Bereich in der Wirbelsäule betroffen ist.

Wie der Chefarzt der Neurochirurgie betont, sind primäre chirurgische Therapien nur „in den seltensten Fällen“ angesagt. Etwa wenn der Patient über Lähmungserscheinungen oder andere neurologische Ausfälle klagt. Dann müsse schnell gecheckt werden, ob nervale Strukturen eingeengt sind und operativ entlastet werden sollten. Normalerweise aber erfolgt zunächst eine konservative Therapie mit Physiotherapie und der Gabe von Schmerzmitteln. So sollen Muskeln gelockert und Schmerzen gelindert werden. Außerdem erlernen Patienten in der Physiotherapie auch entlastende Bewegungsmuster.

Bei extremen Schmerzen können Entzündungshemmer auch direkt in die Nervenwurzel, von der der Schmerz ausströmt, gespritzt werden. Diese Periradikuläre Therapie (PRT) erfolgt unter lokaler Betäubung und mit CT-Kontrolle. „Wenn sich die Beschwerden nach zwei bis drei Monaten nicht gebessert haben und der Patient weiterhin starke Einschränkungen im Alltag hinnehmen muss, dann ist es an der Zeit, über ein chirurgisches Vorgehen zu sprechen“, so Prof. Dr. Christian Ewald.

Voraussetzung dafür sind neben einer ausführlichen Anamnese und umfassenden Untersuchung die Befunde der Radiologie, die „eine plausible Erklärung der Beschwerden des Patienten bieten sollten“. Dabei arbeitet die Klinik für Neurochirurgie sowohl mit der Radiologie des Uniklinikums als auch mit niedergelassenen Radiologen in der Region zusammen. „Ziel ist die bestmögliche Diagnostik“, betont der Chefarzt. Für ihn ist das Zusammenspiel von Röntgenbild, MRT und der Beschreibung der Beschwerden sehr wichtig. Mitunter zeigen Aufnahmen der Wirbelsäule gleich mehrere Veränderungen. Aber es gilt, die eine herauszufinden, die für die Symptome verantwortlich ist. Das macht dann auch den Erfolg der OP aus.

Der Neurochirurg beseitigt Spinalkanalstenosen, also verschleißbedingte Einengungen des Spinalkanals. Dafür werden unter Umständen auch Bandscheibenteile entfernt, die aufs Rückenmark oder angrenzende nervale Strukturen drücken. Eine Operation ist immer die allerletzte Möglichkeit. Prof. Dr. Christian Ewald empfiehlt dabei auch gern eine Zweitmeinung. „Jede Operation an der Wirbelsäule ändert deren Gefüge und das Zusammenspiel der einzelnen Abschnitte“, erklärt der Experte. Das könne unter Umständen auch bedeuten, dass plötzlich andere Abschnitte mehr belastet werden und stärker verschleißen. „Wir sind nicht in der Lage, die Uhr zurückzudrehen. Uns geht es darum, die Schmerzen zu lindern und die Mobilität zu steigern.“ Standard bei den Eingriffen an der Wirbelsäule sind am Uniklinikum minimalinvasive Operationen mit dem Einsatz des Operationsmikroskops und von spinalen Navigationssystemen, die dem Neurochirurgen eine exakte Orientierung ermöglichen. Demnächst arbeiten die Neurochirurgen auch mit einer hochauflösenden 3D-Bildgebung im OP.

In sehr seltenen Fällen wird zu einer Versteifung der Wirbelsäule geraten. Das ist dann der Fall, wenn neben der Bandscheibe auch die angrenzenden Wirbelkörper so sehr verschlissen sind, dass die Wirbelsäule instabil wird. Nach einer OP an der Wirbelsäule rechnet der Chefarzt je nach Ausmaß des Eingriffs mit einer Rekonvaleszenz von mindestens sechs bis acht Wochen.

Damit es erst gar nicht zu gravierenden Rückenproblemen kommt, kann jeder etwas tun. „Die Wirbelsäule mag Abwechslung“, erklärt Prof. Dr. Christian Ewald. Immer nur zu liegen, sei ebenso schädlich wie ständiges schweres Heben. Ruhephasen und Bewegung – mit Sport in Maßen – müssen sich abwechseln. Das tut dem Rücken gut.

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