13. Dezember 2024
Vom Schlag getroffen
Chefarzt PD Dr. med. Alexander Kunz über die Akuttherapie bei Schlaganfällen.
Zeit. Das ist der wichtigste Faktor. Wenn ein Mensch einen Schlaganfall erleidet, geht es für ihn um Minuten: Je eher die Akuttherapie beginnt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient davon profitiert. In der Spezialeinheit für Schlaganfallpatienten, die es seit wenigen Wochen im Universitätsklinikum Brandenburg an der Havel gibt, wird dem Rechnung getragen. „Unser Ziel ist es, innerhalb von 30 Minuten, nachdem der Patient die Rettungsstelle erreicht hat, mit der Thrombolysetherapie zu beginnen“, sagt Privatdozent Dr. med. Alexander Kunz, Chefarzt der Neurologie am Uniklinikum und Experte in der Behandlung von Schlaganfällen. Und das gelingt schon in den meisten Fällen.
Die Thrombolysetherapie ist seit vielen Jahren eine wichtige Option in der Akuttherapie von Schlaganfällen. Mit dieser Therapie soll das Blutgerinnsel, das Ursache für den Schlaganfall ist, aufgelöst werden. Dabei erhält der Patient ein Medikament, das die körpereigenen Prozesse zur Auflösung von Blutgerinnseln unterstützt. Diese Therapie darf nur dann eingesetzt werden, wenn klar ist, dass der Patient keine Blutungen im Körper hat. Denn die würden dadurch noch verstärkt.
Deswegen ist vor einer Thrombolysetherapie zwingend eine bildgebende Untersuchung vom Gehirn nötig – meist ein CT. Die Aufnahmen zeigen, ob der Schlaganfall durch einen Gefäßverschluss oder aber durch eine Gefäßblutung verursacht wurde. In etwa 15 Prozent aller Schlaganfälle ist eine Blutung ins Gehirn dafür verantwortlich. Bei einem solchen hämorrhagischen Schlaganfall darf keinesfalls thrombolysiert werden. Bei bis zu 85 Prozent ist die Ursache ein verschlossenes Gefäß im Gehirn. Dadurch können im Gehirn bestimmte Hirnareale nicht mehr mit Blut versorgt werden. Sie sterben ab, quittieren den Dienst. Das ist dann ein Infarkt im Gehirn, beziehungsweise ein sogenannter ischämischer Schlaganfall. Nur in diesen Fällen kann eine Thrombolysetherapie helfen.
Die Mediziner der Spezialeinheit für Schlaganfallpatienten – auch Stroke Unit genannt – am Uniklinikum klären also binnen 30 Minuten: welche Symptome, seit wann genau, Notfallblutuntersuchung, CT - Blutung oder Ischämie im Gehirn, Thrombolysetherapie ja oder nein. „Die Wege bei uns sind kurz und das Personal zieht mit“, erklärt der Chefarzt Dr. Alexander Kunz die schnellen Abläufe. Die Thrombolysetherapie muss maximal 4,5 Stunden nach dem Auftreten eines Schlaganfalls beginnen.
Die zweite Option der Akuttherapie ist die Thrombektomie. Dabei wird das Blutgerinnsel direkt mechanisch entfernt. Ein Katheter wird bis zum Gefäßverschluss vorgeschoben, um das Gerinnsel herauszuziehen. Hier ist das Zeitfenster für eine erfolgversprechende Behandlung sogar noch etwas größer, wie Dr. Alexander Kunz sagt. Bis zu 24 Stunden nach einem Schlaganfall ist die Thrombektomie unter bestimmten Bedingungen eine Option. Mit der Gerinnsel-Entfernung lassen sich bereits geschädigte Nervenzellen nicht wiederbeleben. Sie sind unwiederbringlich verloren. Aber in unmittelbarer Nähe zum Infarktzentrum befindet sich Gewebe, das noch gerettet werden kann. „Wir nennen dieses Areal Penumbra, also Halbschatten“, sagt der Neurologe. Mit einer besseren Durchblutung lässt sich das Absterben dieses Hirngewebes noch verhindern.
Die Akuttherapie im Krankenhaus dauert durchschnittlich drei bis vier Tage, danach gehen viele Patienten zur neurologischen Rehabilitation. Schätzungen zufolge erleiden jedes Jahr rund 270.000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall. Wie Dr. Alexander Kunz betont, „können wir heute deutlich mehr Patienten eine Akuttherapie anbieten“. Aber etwa die Hälfte der Patienten trägt bleibende Behinderungen davon. Nicht selten kündigt sich ein Schlaganfall mit einer sogenannten Transitorischen Ischämischen Attacke (TIA) an. Chefarzt Alexander Kunz: „Dabei treten plötzliche Schlaganfallsymptome wie Lähmungen, Sprach- oder Sehstörungen auf, die sich manchmal schon nach wenigen Minuten wieder geben.“ Der Experte rät Betroffenen unbedingt, den Rettungsdienst zu rufen – auch wenn die Symptome schon wieder abgeklungen sind. „Lieber einmal zu oft die Notrufnummer 112 wählen als zu spät. Niemand weiß, ob und wann nach einer TIA ein richtiger Schlaganfall folgt“, sagt der Neurologe. Genau deswegen ist besondere Achtsamkeit geboten.