11. Juni 2024

Was macht KI in der Radiologie?

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Andreas Schreyer nutzt Künstliche Intelligenz in der Diagnose

Er hat es gewagt. Bei Prof. Dr. med. Dr. h.c. Andreas Schreyer kommt in der Radiologie Künstliche Intelligenz (KI) in der täglichen Routine zum Einsatz. Der Chefarzt und Direktor des Instituts für diagnostische und interventionelle Radiologie am Universitätsklinikum Brandenburg an der Havel beschäftigt sich schon seit Jahren mit diesem Thema. Nun also der Praxistest.

Konkret heißt das: Alle konventionellen Röntgenaufnahmen von Knochen und von der Lunge, die im Uniklinikum gemacht werden, gehen nun automatisiert an die KI. Sie checkt, ob auf den Röntgenbildern ein Knochenbruch zu sehen ist. Oder vielleicht eine Schädigung der Lunge. Und die KI ist schnell. Ihre Antwort kommt schon – je nach Auslastung des Systems – in ein bis fünf Minuten, wie Prof. Dr. Andreas Schreyer berichtet. Sie kann lauten: positiv, negativ oder mit Zweifeln behaftet. Auf den Aufnahmen ist markiert, wo die KI etwas identifiziert hat. Das hilft dem Mediziner bei der Begutachtung. Denn natürlich schaut sich auch immer ein Mensch die Aufnahmen an. Die Entscheidung über Diagnose und Therapie fällt immer der behandelnde Arzt – basierend auf der klinischen Einschätzung und dem Befund der Radiologen. Nach geltendem europäischem Recht darf eine Software oder ein KI-Modell allein auch keine Entscheidungen treffen.

Der Chefarzt der Radiologie ist begeistert von der Geschwindigkeit der KI. Außerdem sei sie „hochsensitiv“. Sie spürt kleinste Veränderungen auf. Besonders hilfreich ist sie zum Beispiel beim Entdecken von sogenannten Grünholzfrakturen. So bezeichnen Experten spezielle Knochenverletzungen bei Kindern. Bei ihnen sind die Knochen noch nicht so hart wie bei Erwachsenen. Da kann es bei einem Unfall passieren, dass ein Knochen nicht komplett bricht, sondern sich stark biegt. Auch wenn es nur ein unvollständiger Knochenbruch ist, der auf dem Röntgenbild auch nicht leicht zu erkennen ist – so muss die Grünholzfraktur doch behandelt werden. Mit Unterstützung des KI-Modells stellt der Radiologe schneller die richtige Diagnose.



Einen weiteren großen Vorteil der KI sieht Prof. Dr. Andreas Schreyer darin, dass sie nicht ermüdet. Sie macht keine Flüchtigkeitsfehler. „So haben wir 24 Stunden eine digitale Unterstützung, die unsere Ärztinnen und Ärzte zuverlässig auf Knochenbrüche und pathologische Veränderungen in der Lunge hinweist“, betont er. Das sei ein großes Plus für die Patientensicherheit. „Die KI hält uns als Radiologen in der Spur“, urteilt der Experte. Die KI, die ja auf von Menschen erstellten radiologischen Befunden trainiert wurde, kann jedoch wie der Mensch auch Fehler machen. Und vor allem: „Sie entscheidet nicht für uns.“ Das letzte Wort hat immer der Mensch. Er hat die Erfahrung. Er kennt vielleicht auch ungewöhnliche Krankheitsfälle und Röntgenaufnahmen. Die KI „kennt“ die mehr als 10.000 Röntgenaufnahmen, mit denen sie als Lehrstoff gefüttert wurde und die sie zum Abgleich nutzt. So berichtet Prof. Dr. Andreas Schreyer von der Thorax-Aufnahme eines Patienten, auf der die Radiologen einen extrem großen Tumor entdeckten. Das KI-Modell hat nichts erkannt. Denn unter seinen Trainingsfällen war keiner mit einer solch enormen Raumforderung.

„KI-Modelle basieren auf Wahrscheinlichkeiten“, erklärt Prof. Dr. Andreas Schreyer. Das Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie am Uniklinikum arbeitet mit einem KI-Modell der jungen europäischen Firma Gleamer mit Sitz in Frankreich. Studien zur Gleamer-KI haben ergeben, dass die Erkennungsrate bei Berufsanfängern in der Radiologie um zehn bis 20 Prozent steigt. Bei Profis ist die Steigerung mit bis zu fünf Prozent deutlich geringer. Dennoch ist es wichtig, der KI nicht einfach blind zu vertrauen. Aus diesem Grund versucht Chefradiologe, die Benutzung von KI-Modellen in der Radiologie in sein Curriculum für die radiologische Facharztausbildung zu integrieren. Schließlich müsse die neue Technik genutzt und ihre Anwendung gelehrt werden. Er hat keine Sorge, dass die künftigen Radiologen nachlässig werden könnten. Denn die arbeitstäglichen Besprechungen der Befunde im Team würden ihm zeigen, mit viel Leidenschaft die einzelnen Fälle und Diagnosen diskutiert werden.

Im Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie am Uniklinikum werden pro Jahr mehr als 70.000 Röntgen- und 20.000 CT-Aufnahmen angefertigt. Tendenz steigend – um zehn Prozent pro Jahr. Das sind im Schnitt weit mehr als 200 Untersuchungen pro Tag. Da wäre eine automatisch gesetzte Reihenfolge von großem Vorteil: Ein KI-Modell würde dann dem Radiologen diejenigen Aufnahmen als Erstes anzeigen, auf denen schwerste Verletzungen und akute Erkrankungen zu befunden sind.

Aber das ist noch Zukunftsmusik. Für Prof. Dr. Andreas Schreyer steht allerdings jetzt schon fest: KI gehört in die Radiologie. „Wir müssen diese Technik nutzen, um besser zu werden und die Patientensicherheit zu verbessern. Aber wir müssen sie kritisch nutzen.“

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